Text Heiner Frost [2017]

Ausflug ins Fragile

Espresso Corretto

So sollte es immer sein: Espresso zuerst. Corretto vielleicht – mit einem Schuss
Grappa. Gedankenflügelmacher. Die Wohnung: Oben. Das Atelier: Unten. In Bodennähe.
Längst ist man mit dem nötigen Verlangen bestückt, einen Blick auf all die Ungeküssten
zu werfen, die noch in Pappschachteln ruhen und auf das Ausgestelltsein warten. Unberührte Schönheiten.

Heek zeichnet. Zeichnung – das ist der Ausflug ins Fragile. Gereist wird auf Papier. Federleicht. Entfesselt. Längst frage ich mich, wie alles Zeichnen anfängt: Ob Heek das Papier erst in der Hand hält, sich mit Geruch und Beschaffenheit anfreundet und dann das eigene Denken ins Spiel bringt? Der Stift als Liebesgeste. Als Flirt. Heek greift in eine Kiste mit Gerahmtem. Es atmet hinter den Scheiben. Die Rahmen – keine Grenzfindung sondern Betrachtungsermöglichung. „Siehst du, was sich geändert hat?“

Tonalitäten

Noch bin ich damit beschäftigt, wieder zu Atem zu kommen. Was Heek aus den Kisten ans Licht tauchen lässt, ist für ihn Alltag. Er kennt sie alle. Ich habe das
Verliebtsein noch vor mir. Natürlich: Es verliebt sich leicht auf den ersten Blick – aber schnelle Liebe macht flüchtiges Sehen. Also auf ins Gestehen: „Nein“, sage ich. „Ich sehe nicht, was sich geändert hat.“ „Wäre auch schlimm“, sage ich kurze Zeit später und füge an: „Vorsprung ist Künstlerpflicht.“ Heek ist einer, der mir neue Sichten erobert. „Ja – ich seh‘s: Es mischt sich Farbe in den Heek‘schen Papierkosmos.“

„Da ändert sich die Tonalität“, sagt er. Aber nicht den Heek, denke ich. Es ist doch wie bei den Tonkünstlern: Am besten, sie erfinden immer wieder dasselbe Erfolgsstück. Wer sich radikal ändert, wird nicht selten verstoßen. Aber das hier ist etwas anderes: Ich grase das Papier ab, und manchmal erobere ich mir eine Form. „Ist das hier nicht eine Art Tier? Da die Beine. Da der Kopf. Eine Art kubistischer Kuh.“
Na, wenn das mal keine Beleidigung ist. Der Zeichner denkt in anderen Kategorien –
sieht Assoziationsmonster … Menschen, die etwas finden wollen. Er hat nichts gegen Assoziation – überhaupt nicht – nur ihn, ihn würde es ausbremsen beim Tun. Damit ließe sich leben. Auf beiden Seiten. „Nein“, sage ich, „ich will nichts finden. Es ist manchmal einfach da. Dann kann ich nicht wegdenken. Es geht dann nicht mehr.“

Farbengesang

Er erobert die Fläche – ich das Hinsehen.
Ich kenne, denke ich, nicht viele Zeichner, die auf das Quadrat als Gedankengrundfläche setzen. Natürlich ist nicht alles quadratisch beim Heek. Irgendwie ist er vom Kleinen ins Größere geraten. Zwischenstation beim Quadrat. Dann die Tonalität des Farbengesangs. Für mich ist Heek einer, der unterwegs zu den Rändern ist. Manches scheint an den Rand gewachsen zu sein. Die Mitte: Freigegeben.

Selten wird klarer, dass sich alles Sehen über die Freiräume definiert und über die Position. Das Tonale ist Untermieter im Linearen. Das Lineare wohnt in der Fläche. Irgendwann beginnen sie das Unterhalten. Der Zeichner denkt – der Betrachter nimmt Ergebnisse entgegen und bleibt mitunter hängen. Findet in all den Stapeln mit einem Mal die große Liebe. Fühlt sich umarmt. Ich verliebe mich oft in diesem Atelier – ob nun mit Espresso oder ohne. Heek legt Sichten frei und denkt nicht ans Konkrete. Und wenn er das Foto einer Wand zeigt, auf der Heek im Rahmen einer Ausstellung quasi zur geordneten Offensive den Weg zum Publikum antritt, merke ich, dass da einer ist, der nicht nur das Einzelne sieht, sondern die Inszenierung gleich dazu. Wer inszeniert, muss das Ganze im Blick haben, ohne das Einzelne zu übersehen.

Rückblick

„Und? Wirst du was schreiben?“ „Bin schon unterwegs. Mit den Wörtern.“
Kurzer Rückblick auf Gesagtes: Heek zeichnet. Die Formate wachsen. Zeichnen ist eine spezielle Art des Denkens. Gedanken sind Objektträger. Heek zeichnet informell. Nichts zu erkennen. Viel zu entdecken. Es ist, was es ist. Aber was ist es? Kunst macht Lärm oder hält still. (Das Geräusch der Zeichnung.)

Gedachtes: Allein über Texttitel nachzudenken, ist Lustgewinn. „Ausflug ins Fragile“, „Das Geräusch der Zeichnung“, „Das Denken nach dem Denken.“ Die Aufgabenmitte: Es soll was werden für den Katalog. Ich schlage nach: „Wenn Zeichnen Denken ist, ist dann das Betrachten einer Zeichnung Gedankenlesen? Das hängt vom Standpunkt ab.“
Hat wer geschrieben? Ich.
Dann kann es bleiben.