Rede von Franz Joseph van der Grinten zur Ausstellungseröffnung „Christoph Heek – Fotografie“
am 2. September 2007 im Katharinenhof Kranenburg
Ist Photographie objektiv? Wir sind gewöhnt, sie als Zeugnis verlässlich, beweiskräftig anzuerkennen. Und doch ist nichts so fiktiv wie sie. Sie hält einen Blick in einem Moment fest, vermeintliche Lebendigkeit, aber was derart festgehalten wird, lebt nicht, ist aufs Materielle reduziert, entbehrt der Atmung.
Augenblick ist Willkür. Man sieht nur, was man sehen will, selektiv. Man meint, man habe die Summe des Seins, aber ohne das Gewesensein und das Seinwerden ist da nur ein Schein. Reduziert auf die zwei Dimensionen von Höhe und Breite. Wenn wir angesichts eines Bildes Raum erleben oder die Plastizität eines Gegenstandes, so tritt die Erinnerung an Erlebtes an die Stelle dessen, was abgebildet ist. Das Erleben selbst ist auf diese vermeintlich objektive Weise nicht zu fassen und zu halten.
Aber gerade das strebt Christoph Heek zu erreichen. Er löst das Objektiv von seiner Fixierung auf das Objekt. Da ist nicht das millimetergenaue Auf-den-Leib-rücken in Raum und Zeit, das beide aufheben würde. In Wahrheit dehnt sich der Raum; in Wahrheit gleitet die Zeit; in Wahrheit ist Alles in Bewegung. Um das einzufangen macht sich Christoph Heek die Erfahrungen der Camera Obscura zunutze und unterwirft das Objektiv seines Photoapparates unterschiedlichen technischen Manipulationen, wie zum Beispiel die Verengung des Lichteinfalls auf einen messerscharfen Spalt. Oder er richtet bei Doppelbelichtung zwei Blickachsen in ein und dasselbe Bild, wodurch er ihre Zielgerichtetheit aufhebt.
Solchen Maßnahmen der Verzögerung entsprechen die entgegengesetzten der Beschleunigung. Aus einem Fahrzeug während der Fahrt aufgenommene Landschaftsausschnitte ohne fixierenden Blickpunkt: Nicht mehr ist die aufzunehmende Gegebenheit festgelegt, nicht mehr der Standpunkt des Aufnehmenden. Alles fließt: Es ist die Rückkehr zu den frühesten philosophischen Erkenntnissen weit vor der Erfindung der Logik. In der Flüchtigkeit der Gegenstände im Raum macht sich die dritte Dimension auch im Bilde spürbar, in der Flucht der nicht zu fixierenden Momente die vierte Dimension, die der Zeit, ohne die Sein nicht möglich wäre. Christoph Heeks Bilder sind nachdenkliche und nachdenklich machende. Ein Grübeln über das eigene Sein und seine Relativität, metaphysisch, will sagen: über das Physische hinaus oder hinter die äußere Begrenzung des Physischen eindringend. Sie machen den, der auf diese Weise wahrnimmt und bekundet, zum wirklichen Zentrum seiner Welt, intensiv, wenn auch in dauerndem Wechsel. So sehr auch, das er imstande ist, durch rhythmisch variierte Wiederholungen das, was so nicht mehr vereinzelt ihm vor Augen ist, quasi als ein Panorama, als große Zusammenschau des Lebensraums erlebbar zu machen.
Christoph Heeks Bildwelt ist existentiell in des Wortes tiefster Bedeutung. Sein als Wesen, das Seiende als Wesendes. Alles ist Phase, das heißt Durchgang. Nichts lässt sich halten. Arno Holz hat seinen Dafnis-Liedern ein Motto vorangestellt, mit dem ich schließen möchte:
Horch drümb / wass mein Staub dir spricht:
So vihl Gold hat Ophir nicht /
alss in ihrem Munde
die flüchtige Secunde.
O Adame / o Eve /
Vita somnium breve!
Kranenburg, 2. IX. 2007
Franz Joseph van der Grinten