Das Denken nach dem Denken
Juli 19, 2016 von Heiner Frost
Heek zeichnet. Die Formate wachsen. Zeichnen ist eine spezielle Art des Denkens. Gedanken sind Objektträger. Heek zeichnet informell. Es gibt nichts wiederzuerkennen. Aber es gibt viel zu entdecken. Es ist, was es ist.
Heek zeichnet nie im Sitzen. Zeichnen ist Bewegung. Der Körper hört zu. Macht mit. Heeks nächste Einzelausstellung heißt: Es ist, was es ist. Der Titel spricht. Er sagt nicht „Es ist nicht, was es ist, war oder sein wird“, und er sagt nicht „es ist nicht, was es sein sollte oder könnte.“ Es ist, was es ist. Aber was ist es? Zeichnungen machen Lärm oder halten still. (Das Geräusch der Bilder.) Heek hat nicht immer gezeichnet, aber er kommt aus der Kunst. Soll man nach dem Vater fragen? Vielleicht gleich zu Anfang – dann sind die Vergangenheiten geklärt. Außerdem ist alles Jetzt nicht ohne das Vorher zu begreifen.
„Papa hat Teppiche gewebt“, sagt Heek und meint seinen Vater Johann Peter Heek. Der Alte ist ein Anker in der Kunstgeschichte einer Region. Er ist auch ein Anker im Leben des Sohnes. Der Alte hat auch gemalt. „Malen“, sagt der junge Heek über den Alten, „Malen war für Papa eine Art Luxus.“ Wenn es eine Serie neuer Bilder gab, stellte der Alte sie nebeneinander und ließ den Sohn aussuchen. (Kunst ist eine Summe von Entscheidungen. Kunstauswahl auch.)
Heeks Mutter: Fotografin. Der Bekanntenkreis: Künstlerfreunde. Sammler. Die van der Grintens. Ein Aufwachsen mit der Kunst. Das Atelier des Vaters: Im Haus. Himmelwärts. Erster Stock. Der junge Heek schafft Abstand. Er wird nicht gleich Künstler – er wird Krankenpfleger, studiert Medizin, promoviert. Der Alte: Stolz auf den Sohn, der die Kunst nie aus dem Herzen bannt. Sie ist immer da. Sie ruht nur. Denkt nach. Dann stirbt der Vater. Ein Atelier ist verwaist. Jetzt folgt der Rücksturz ins Eigentliche. Ein längst Erwachsener taucht zurück. Nein: Zurücktauchen wäre die falsche Begrifflichkeit. Die falsche Voraussetzung. Eine falsche Farbe.
Heek arbeitet als Arzt. Es ist, was es ist. Dann nimmt eine gute Freundin ihn mit zum Tag der offenen Tür einer Kunstakademie. Heeks Liebe auf den ersten Blick ist allumfassend. Da ist dieses Gefühl, dass es jetzt sein muss. Es ist die Beschäftigung mit der Kunst. Heek füllt am selben Tag noch einen Aufnahmeantrag aus: Das Visum für ein anderes Leben – ein Leben auf zwei Gleisen: Hier die Medizin – da die Kunst. Heek probiert sich aus. „Ich musste herausfinden, ob es wirklich ich war, der das wollte.“ Heek will nicht einfach ein ererbtes Mandat. Er will das eigene Leben in der eigenen Kunst. Er sucht Sprache und findet sie. Heek fotografiert. Fotografie ist Belichtung. Was Heek belichtet, geht ans Eingemachte. Er inszeniert den eigenen Tod – eine Arbeit, die jedem, der sie je gesehen hat, den Kopf bevölkert. Irgendwann biegt er ins Zeichnen ab: Es ist, was es ist.
Heek ist keiner, der jeden Tag ins Atelier muss. Auch Denken braucht Pausen. Heeks Weg ins Atelier ist nicht weit. Zwei Treppen herunter. Irgendwie ist es gut, dass das Atelier im eigenen Haus ist. Eine Situation, die er von seinem Vater kennt. Es ist nur irgendwie umgekehrt. Im Elternhaus lag das Atelier himmelwärts, Christophs Atelier: Unten im Haus. Parterre. Geerdet. Die Wände in Heeks Wohnung: Konzentriert leer. Es hängt nicht viel und was da hängt, ist nicht von ihm. Braucht da einer die Ruhe vor den eigenen Bildern? „Nein“, sagt Heek. „Darum geht es nicht.“ Er kann sich und die eigenen Bilder gut aushalten. Er wohnt jetzt zwar schon ein paar Jahre in diesem Haus, aber es muss sich alles finden. Auf dem Wohnzimmerboden: Ein Maßband. Heek ist mit der neuen Einzelausstellung beschäftigt. Er plant eine Wandzeichnung. Zeichnung braucht Proportion. Zeichnen ist Denken. Vielleicht ist Zeichnen Denken nach dem Denken. Nachdenken. Gibt es einen Unterschied zwischen Zeichnung und Malerei? Natürlich gibt es den. Aber er hat weniger mit Papier und Leinwand zu tun. Malerei ist anderes Denken. Heek hat nicht sofort eine Antwort parat. Nichts, was ausformuliert daherkäme. Könnte er‘s aufschreiben, wäre er doch Schriftsteller. Er ist, was er ist. Nur von der Kunst leben? Warum nicht. Ja. Ja, sicher.
Heek zeichnet. Informell. Nichts zu erkennen – viel zu entdecken. Heek sagt: Präsentation ist wichtig. Sie ist ein Teil der Achtung vor dem eigenen Kunstwerk. Das kann man so sehen. Im Atelier: Ein Ballett aus Zeichnungen. Heek probiert die neue Ausstellung. Die Zeichnungen müssen sich gegenseitig aushalten. Ertragen. Tragen. Ragen. Wer sich die Arbeiten der letzten Jahre ansieht, entdeckt Veränderung. Der Raum vergrößert sich. Die Linien werden erwachsen. Wenn Zeichnen eine Form des Denkens, des Nachdenkens ist, dann kann man miterleben, wie das Heek‘sche Universum sich ausdehnt. Aus dem Nachdenken wird Denken, aus dem Denken Vordenken. Vielleicht ist es manchmal zu eng im eigenen Leben – dann öffnet sich diese Tür ins Paradies der Linien. Natürlich ist jedes Kunstwerk eine Lösung – die Beantwortung einer Frage. Vielleicht. Das Schöne an der Kunst ist, dass die Fragen ungestellt bleiben. Auch Zeichnen ist ein Luxus. Es ist der Luxus, Fragen zu beantworten, die niemand stellt. Es ist, was es ist. Schlussbemerkung: Wenn Zeichnen Denken ist, ist dann das Betrachten einer Zeichnung Gedankenlesen? Das hängt vom Standpunkt ab.
Auf der Website von Heiner Frost findet sich im Anschluss an den Text „Das Denken nach dem Denken“ auch noch die Niederschrift eines Interviews unter dem Titel „Das Gespräch“.